Empfehlungen des Landesbeirats für Jugendarbeit für den Umgang mit der Corona-Pandemie und den Auswirkungen auf die Jugendarbeit

Vorbemerkungen

Im Rahmen seines Auftrags berät der Landesbeirat für Jugendarbeit das Niedersächsische Ministerium für Soziales, Gesundheit und Gleichstellung in grundsätzlichen Fragen der Jugendarbeit. Dieses Papier soll daher aufzeigen, welche Maßnahmen in Bezug auf die Jugendarbeit im Kontext der Corona-Pandemie angemessen erscheinen, wie diese umgesetzt werden können und welche Parameter bei der Neubewertung des Pandemiegeschehens aus fachlich-professioneller Perspektive Berücksichtigung finden müssen. Ziel ist es, das gesundheitliche Risiko für die Gesellschaft in ihrer Gesamtheit soweit möglich zu reduzieren, dabei aber so wenig Einschränkungen wie nötig zu erlassen.

Zum Aufbau des Dokuments

Nach den allgemeinen und einleitenden Vorbemerkungen werden im Folgenden drei Szenarien beschrieben, die jeweils ein definiertes Spektrum an Neuinfektionen im Wochenmittel unterstellen. Jedes Szenario beschreibt dann weitere Empfehlungen des Landesbeirats für Jugendarbeit für eben dieses Infektionsgeschehen.

Zu den leitenden Überlegungen

Die folgenden Überlegungen leiten die Empfehlungen des Landesbeirats für Jugendarbeit.

In Bezug auf das Wohlergehen junger Menschen

Die Corona-Pandemie trifft junge Menschen in ihrer Entwicklung, die insbesondere in der Lebensphase Jugend durch die Kernherausforderungen Qualifizierung, Verselbstständigung und Selbstpositionierung geprägt ist. Gerade in dieser Phase brauchen junge Menschen sowohl Freiräume zur Persönlichkeitsentwicklung als auch direkte persönliche Kontakte zu anderen (jungen) Menschen. Auch körperliche Nähe und intime Vertrautheit sind hier von besonderer Bedeutung. Sofern diese Aspekte dauerhaft über einen längeren Zeitraum – und dieser beginnt schon bei wenigen Wochen – eingeschränkt, gestört oder ganz und gar verhindert werden, kann dies massive negative Auswirkungen auf die Entwicklung und das Wohlergehen junger Menschen haben. Digitale Angebote können in einer solchen Phase wichtig sein; dabei den direkten Kontakt in Präsenz aber nie gänzlich ersetzen.
Neben dem Kontakt zu gleichaltrigen Freundinnen und Peers ist für viele junge Menschen auch der Austausch mit älteren Vertrauenspersonen außerhalb der eigenen Familie wichtig. Das können Lehrerinnen, Arbeitskolleginnen, Sozialpädagoginnen oder auch Jugendleiterinnen sein, die ein entsprechendes Vertrauensverhältnis aufgebaut haben. In Bezug auf Freiräume für junge Menschen muss es bei allen notwendigen Hygienemaßnahmen auch weiterhin durchgängig Möglichkeiten der Aneignung von Orten und Räumen durch junge Menschen und Jugendgruppen unter eigenen Regeln geben. Das betrifft offene Jugendtreffs, freie Räume oder Gruppenräume bei öffentlichen und freien Trägern gleichermaßen. Für den Bereich der Jugendarbeit kann festgestellt werden, dass trotz zahlreicher Maßnahmen und Angebote in den niedersächsischen Sommerferien keine Ausbruchsgeschehen mit einem direkten Zusammenhang zu diesen Maßnahmen bekannt sind. Damit leistet die Jugendarbeit einen wichtigen Beitrag, um jungen Menschen eine verantwortungsvolle und sinnvolle Freizeitgestaltung zu ermöglichen. Alle Maßnahmen des Bevölkerungsschutzes müssen daher immer genauestens abwägen, welche Einschränkungen jungen Menschen zuzumuten sind. Ggf. können zu restriktive Maßnahmen das Wohlergehen junger Menschen deutlich stärker gefährden als das Virus, vor dem sie geschützt werden sollen (bspw. Abstandsgebote oder das Tragen einer Mund-Nase-Bedeckung). Gleichzeitig haben bisherige Erfahrungen gezeigt, dass Hygieneauflagen bei Angeboten der Jugendarbeit weitgehend umgesetzt werden konnten. Auch deswegen sollte ein gewisses Vertrauen in das Verantwortungsbewusstsein der Träger, der Jugendleiterinnen und der Teilnehmenden von Maßnahmen der Jugendarbeit gesetzt werden.
Im Falle eines weiteren harten Lockdowns mit umfangreichen Kontaktbeschränkungen, vergleichbar zum Frühjahr 2020, müssen Angebote der Jugendarbeit so schnell wie möglich wieder zugelassen werden.
In Bezug auf das Einhalten von Regeln
Die gesellschaftliche Akzeptanz für Regeln und das Einhalten bestimmter Einschränkungen steigen, wenn diese als ausgewogen wahrgenommen werden und für vergleichbare Situationen gleiche Regelungen gelten. Weiter müssen Regelungen klar und verständlich formuliert und in der Auslegung eindeutig sein.

In Bezug auf die Verbreitung des Virus SARS-CoV-2

Das SARS-CoV-2 Virus verbreitet sich nach aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen insbesondere als Tröpfcheninfektion. Dabei spielen „größere Tropfen”, wie beim Niesen oder bei feuchter Aussprache, eine ähnlich große Rolle wie Aerosole, also „kleinste Tropfen”, die in der Luft schweben. Gegen beide Ansteckungswege können unterschiedliche Maßnahmen ergriffen werden.
Es wird weiter angenommen, dass das Virus nicht von allen Infizierten gleichermaßen weiterverbreitet wird. Stattdessen konnte gezeigt werden, dass es wenige Menschen sind (vermutlich mit einer hohen Viruslast ausgestattet), die dafür aber wiederum viele Menschen anstecken (Super-Spreading). Dies führt dazu, dass eine Ausbreitung des Virus nicht linear verläuft, sondern in Clustern stattfindet. Es sind also besonders solche Maßnahmen effektiv, die ein Ausbreiten in Clustern unterbinden oder einen Ausbruch innerhalb eines Clusters schnell eindämmen können.
Weiter wird unterstellt, dass das individuelle Risiko eines schweren oder gar tödlichen Verlaufs bei jungen Menschen ohne (chronische) Vorerkrankungen vergleichsweise gering ist. Daher sollten Maßnahmen einerseits über die individuellen Risiken aufklären, andererseits aber auch einen Fokus auf eine Verhütung der Weitergabe einer Infektion setzen. Dabei ist auch das oben beschriebene „Super-Spreading-Phänomen“ besonders zu berücksichtigen. Angebote der Jugendarbeit bieten die Chance, jungen Menschen einen „kontrollierten Freiraum“ zu ermöglichen. Hier können sie selbstorganisiert ihre Freizeit gestalten und Freundinnen treffen, zugleich findet dies aber auch in einem pädagogischen Rahmen mit sozialer Kontrolle und unter Einhaltung von Hygienekonzepten statt.

In Bezug auf Inzidenz- und Schwellenwerte

Wissenschaftliche Erkenntnisse legen nahe, dass ab einem gewissen Schwellenwert die Verbreitung des Virus immer weniger kontrollierbar ist. Wo genau dieser Schwellenwert in Bezug auf die Bundesrepublik, das Land Niedersachsen oder auch auf einzelne Gemeinden liegt, kann jedoch niemand mit Sicherheit sagen. Auf politischer Ebene wurden stattdessen Richtwerte definiert, die mittlerweile allgemein anerkannt und zumindest nach aktuellem Stand nicht gänzlich „falsch“ sind. So wird eine Inzidenz von 50 Neuinfektionen pro Woche und 100.000 Einwohnerinnen als kritisch betrachtet. Relativ neu ist die 7-Tage-Inzidenz von 35 pro 100.000 Einwohnerinnen. Für Niedersachsen würde dies bedeuteten : 7-Tage-Inzidenz pro 100.000 Einwohnerinnen
Inzidenzwert Neuinfektionen pro Woche Neuinfektionen pro Tag

  • ca. 8 700 100
  • 35 2.800 400
  • 50 4.000 570

An diesen Richtwerten orientieren sich auch die folgenden Empfehlungen des Landesbeirats für Jugendarbeit.

Szenario 1 – Moderates Pandemiegeschehen

Beschreibung der Situation

Die aktuelle Situation verändert sich nicht grundlegend. Infektionszahlen bewegen sich konstant im Bereich 100 – 400 Neuinfektionen pro Tag in Niedersachsen. Ein klarer, auf mehrere Wochen angelegter Trend ist dabei nicht erkennbar.
Das Infektionsgeschehen in Niedersachsen lässt sich dabei als weitgehend kontrollierbar beschreiben. Eine individuelle Fallnachverfolgung durch die Ordnungs- und Gesundheitsämter kann weitgehend gewährleistet werden. Ausbruchscluster können erkannt und rechtzeitig eingedämmt werden.

Maßnahmen der Landesregierung

Folgende Regelungen sollten seitens der Landesregierung getroffen werden:

  • Alle Maßnahmen und Angebote der Jugendarbeit dürfen nur mit Hygienekonzept durchgeführt werden.
  • Maßnahmen und Angebote der Jugendarbeit sind in der Anzahl der teilnehmenden Personen begrenzt. Eine Gruppengröße von bis zu 50 Personen scheint dabei angemessen.
  • Bei Maßnahmen und Angeboten der Jugendarbeit kann von Abstandsgeboten und dem Tragen einer Mund-Nase-Bedeckung abgesehen werden.
  • Die Daten der Teilnehmenden einer Maßnahme müssen dokumentiert, mindestens drei Wochen gespeichert und spätestens nach vier Wochen gelöscht werden. Zugriff auf die Daten darf – bei begründetem Interesse – nur dem zuständigen Gesundheitsamt gewährt werden.
  • Hauptamtlichem, pädagogischem Personal in häufigem, direktem Kontakt mit jungen Menschen (insbesondere in Einrichtungen mit offenen Angeboten) werden regelmäßige, kostenlose Corona-Tests zur Verfügung gestellt.
  • Trägern der Jugendarbeit werden zusätzlich Mittel in Form von Billigkeitsleistungen zur Erarbeitung und Umsetzung von Hygienekonzepten zur Verfügung gestellt.
  • Für Bildungsmaßnahmen, die im Rahmen des Jugendförderungsgesetzes gefördert werden, werden für die Zeit der Pandemie folgende Ausnahmeregelungen getroffen:
  • Der Tagessatz von maximal 23 € pro Teilnehmer*in wird auf 60€ angehoben.
  • Maßnahmen müssen nicht zwingend überörtlich sein, um förderfähig zu sein.
  • Die Mindestzahl an Teilnehmenden sollte auf 5 Personen reduziert werden.

Empfehlungen an die Träger der Jugendarbeit

Träger der Jugendarbeit sollten im Rahmen der individuell zu erstellenden Hygienekonzepte sicherstellen, dass…

  • die Gruppengröße begrenzt wird.
  • Daten der TN erfasst und gespeichert werden.
  • Maßnahmen – wenn möglich – im Freien stattfinden.
  • Räumlichkeiten ausreichend groß sind und umfänglich gelüftet werden können.

Szenario 2 – Rückgang des Pandemiegeschehens

Beschreibung der Situation

Die Zahl der Neuinfektionen ist konstant rückläufig und bleibt dauerhaft auf einem niedrigen Niveau unter 100 Neuinfektionen am Tag in Niedersachsen. Der Trend ist dabei anhaltend auf mehrere Wochen erkennbar.
Das Infektionsgeschehen in Niedersachsen lässt sich als kontrollierbar beschreiben. Eine individuelle Fallnachverfolgung durch die Ordnungs- und Gesundheitsämter ist gewährleistet. Ausbruchscluster werden erkannt und rechtzeitig eingedämmt.

Maßnahmen der Landesregierung

Folgende Regelungen sollten seitens der Landesregierung getroffen werden:

  • Alle Maßnahmen und Angebote der Jugendarbeit dürfen nur mit Hygienekonzept durchgeführt werden.
  • Maßnahmen und Angebote der Jugendarbeit sind in der Anzahl der teilnehmenden Personen nicht begrenzt.
  • Bei Maßnahmen und Angeboten der Jugendarbeit kann von Abstandsgeboten und dem Tragen einer Mund-Nase-Bedeckung abgesehen werden.
  • Die Daten der Teilnehmenden einer Maßnahme müssen dokumentiert, mindestens drei Wochen gespeichert und spätestens nach vier Wochen gelöscht werden. Zugriff auf die Daten darf – bei begründetem Interesse – nur dem zuständigen Gesundheitsamt gewährt werden.
  • Hauptamtlichem, pädagogischem Personal in häufigem, direktem Kontakt mit jungen Menschen (insbesondere in Einrichtungen mit offenen Angeboten) werden regelmäßige, kostenlose Corona-Tests zur Verfügung gestellt.

Empfehlungen an die Träger der Jugendarbeit

Träger der Jugendarbeit sollten im Rahmen der individuell zu erstellenden Hygienekonzepte sicherstellen, dass

  • Daten der TN erfasst und gespeichert werden.
  • Maßnahmen – wenn möglich – im Freien stattfinden.
  • Räumlichkeiten umfänglich gelüftet werden können.

Szenario 3 – Steigerung des Pandemiegeschehens

Beschreibung der Situation

Die Zahl der Neuinfektionen steigt deutlich an und bleibt über mehr als zwei Wochen deutlich über 400 Neuinfektionen am Tag in Niedersachsen. Ein klarer, auf mehrere Wochen angelegter Trend ist dabei erkennbar.
Das Infektionsgeschehen in Niedersachsen wird zunehmend unkontrollierbarer. Eine individuelle Fallnachverfolgung durch die Ordnungs- und Gesundheitsämter kann nicht mehr gewährleistet werden. Ausbruchscluster werden zunehmend weniger erkannt.

Maßnahmen der Landesregierung

Folgende Regelungen sollten seitens der Landesregierung getroffen werden:

  • Alle Maßnahmen und Angebote der Jugendarbeit dürfen nur mit Hygienekonzept durchgeführt werden.
  • Maßnahmen und Angebote der Jugendarbeit müssen in der Anzahl der teilnehmenden Personen begrenzt werden. Eine Gruppengröße von bis zu 10 Personen (bzw. die Personenzahl, die in anderen gesellschaftlichen Bereichen als Obergrenze vorgesehen ist) scheint dabei angemessen.
  • Bei Maßnahmen und Angeboten der Jugendarbeit ist das Abstandsgebot einzuhalten. Kann dies nicht gewährleistet werden, muss eine Mund-Nase-Bedeckung getragen werden.
  • In geschlossenen Räumen muss eine Mund-Nase-Bedeckung getragen werden.
  • Die Daten der Teilnehmenden einer Maßnahme müssen dokumentiert, mindestens drei Wochen gespeichert und spätestens nach vier Wochen gelöscht werden. Zugriff auf die Daten darf – bei begründetem Interesse – nur dem zuständigen Gesundheitsamt gewährt werden.
  • Hauptamtlichem, pädagogischem Personal in häufigem, direktem Kontakt mit jungen Menschen (insbesondere in Einrichtungen mit offenen Angeboten) werden regelmäßige, kostenlose Corona-Tests zur Verfügung gestellt.
  • Trägern der Jugendarbeit werden zusätzlich Mittel in Form von Billigkeitsleistungen zur Erarbeitung und Umsetzung von Hygienekonzepten zur Verfügung gestellt.
  • Für verbandliche Bildungsstätten werden zusätzlich Billigkeitsleistungen zur Überbrückung von Einnahmeausfällen und zur Abwendung von existenzgefährdenden Situationen zur Verfügung gestellt.
  • Für die Träger der Jugendarbeit werden zusätzlich Billigkeitsleistungen für zusätzliche Kosten zur Umsetzung von Hygienemaßnahmen zur Verfügung gestellt.
  • Für Bildungsmaßnahmen, die im Rahmen des Jugendförderungsgesetzes gefördert werden, wird für die Zeit der Pandemie folgende Ausnahmeregelungen getroffen:
  • Der Tagessatz von maximal 23 € pro Teilnehmer*in wird auf 60 € angehoben.
  • Maßnahmen müssen nicht zwingend überörtlich sein, um förderfähig zu sein.
  • Die Mindestzahl an Teilnehmenden sollte auf 5 Personen reduziert werden.

Empfehlungen an die Träger der Jugendarbeit

Träger der Jugendarbeit sollten im Rahmen der individuell zu erstellenden Hygienekonzepte sicherstellen, dass

  • die Gruppengröße begrenzt wird.
  • die Daten der TN erfasst und gespeichert werden.
  • Maßnahmen – wenn möglich – im Freien stattfinden.
  • Maßnahmen nur mit festen Gruppen durchgeführt werden.
  • Räumlichkeiten ausreichend groß sind und umfänglich gelüftet werden können.
  • Räumlichkeiten mind. alle 30 Minuten für 5 Minuten gelüftet werden.
  • Räumlichkeiten nach jeder Gruppennutzung gründlich gereinigt und desinfiziert werden.

Weitere Empfehlungen

Das Land wirbt bei den Kommunen dafür, dass Jugendgruppen, deren Räume unter diesen Bedingungen für die Jugendarbeit nicht nutzbar sind, andere Räumlichkeiten zur Verfügung gestellt werden.
Sofern es wieder zu umfangreichen Schul- und Kitaschließungen käme und Kinder wieder fast ausschließlich im häuslichen Umfeld leben würden, sollte das Land mit den Trägern der Kinder- und Jugendhilfe ins Gespräch treten, um für junge Menschen aus vulnerablen Familien alternative Angebote (z.B. Nutzung von Jugendherbergen/Jugendbildungsstätten als Betreuungs- und Bildungsorte / „Ferien von der Familie”) schaffen zu können.