Stellungnahme des Landesbeirat für Jugendarbeit zum Handeln des Niedersächsischen Ministeriums für Soziales, Gesundheit und Gleichstellung während der SARS-CoV-2 Pandemie in Deutschland

 Die SARS-CoV-2 Pandemie ist eine gewaltige Herausforderung für die gesamte Gesellschaft. Die teils drastischen Kontaktbeschränkungen und der massive Eingriff in das private und öffentliche Leben haben wirtschaftliche und soziale Folgen, die in Gänze noch nicht absehbar sind. Dennoch hält der Landesbeirat für Jugendarbeit die Maßnahmen grundsätzlich für verhältnismäßig und notwendig, um den Fortlauf der pandemischen Ausbreitung des Virus zu stoppen und so Menschenleben zu retten. 

Gleichzeitig muss der Landesbeirat feststellen, dass sich die ergriffenen Maßnahmen und insbesondere die Konzepte zur Lockerung der Maßnahmen nur sehr bedingt an den Bedürfnissen und Interessen von jungen Menschen orientieren. So beklagen diese, dass sie sich durch Politik nicht ernst genommen fühlen und dabei nur wenig Möglichkeiten haben, sich Gehör zu verschaffen. Im Zuge der Einschränkungen wurde keine der Maßnahmen in einem Beteiligungsprozess abgestimmt. Dies hätte jedoch die Akzeptanz der Maßnahmen deutlich erhöht und so für mehr Unterstützung in der Breite der Jugend geführt. Beteiligungsrechte müssen auch im Krisenfall Geltung haben. Stattdessen wurden junge Menschen im Wesentlichen als zu betreuende und zu beschulende Objekte wahrgenommen, die keinerlei Verantwortung übernehmen können.  

Dieses Bild, welches auch durch das Agieren des Sozialministeriums zustande gekommen ist, kritisiert der Landesbeirat deutlich. 

Insgesamt ist festzustellen, dass Kinderrechte in einem weit stärkeren Maße eingeschränkt wurden als andere Grundrechte. So sind insbesondere Probleme von Kindern und Jugendlichen in schwierigen sozialen Lagen zeitweise auf der politischen Ebene völlig aus dem Blick geraten. Kinderrechte müssen auch im Krisenfall gelten. 

Junge Menschen haben in der Zeit des „Lockdowns“ an vielen Stellen gesellschaftlich unterstützend gewirkt. So haben bspw. in der Jugendarbeit engagierte junge Menschen: 

  • Angebote in den digitalen Raum verlagert und damit eine Möglichkeit einer sinnvollen Freizeitgestaltung geschaffen. 
  • Nachbarschaftshilfe organisiert (Einkaufen etc.) und sich weiter ehrenamtlich für andere eingesetzt. 
  • Die Tafeln und vergleichbare Organisationen unterstützt, um diese wichtige Arbeit aufrecht zu erhalten. 

Bei all diesen Bemühungen hatten ehrenamtlich und hauptamtlich Engagierte und Träger der Jugendarbeit mit Beschränkungen zu kämpfen. In den folgenden Phasen der Lockerungen der Schutzmaßnahmen, beginnend im April 2020, hat sich jedoch gezeigt, dass  die Bedürfnisse junger Menschen wenig Beachtung in den Überlegungen des Sozialministeriums gefunden haben.  Insbesondere nicht-kommerzielle und ehrenamtlich getragene Maßnahmen und Angebote der Jugendarbeit wurden über lange Zeit ohne Verhältnismäßigkeit im Vergleich mit anderen Maßnahmen eingeschränkt. 

  • Über lange Zeit waren im Bereich der Jugendarbeit keine Gruppenstunden oder offene Angebote erlaubt.  
  • Später wurden Angebote und Maßnahmen der Jugendarbeit nur mit pädagogischem Fachpersonal erlaubt obwohl bspw. vergleichbare kommerzielle Angebote wie Indoorspielplätze gänzlich ohne Aufsichtspersonal geöffnet werden konnten. 
  • Auch aktuell gilt noch eine Einschränkung der Gruppengröße auf 10 Personen aus unterschiedlichen Haushalten, die sich so für vergleichbare Angebote nicht wiederfindet. 
  • Angebote und Maßnahmen der Jugendarbeit mit Übernachtungen wurden erst auf massiven Druck mit der Verordnung am 22.06.2020 wieder erlaubt. Ein ausreichender Vorlauf zur Planung von Aktivitäten in den Sommerferien ist so nur bedingt gegeben. 

Dagegen stellt der Landesbeirat für Jugendarbeit fest, dass gerade für Anbieter von kommerziellen Angeboten schon zu frühen Zeitpunkten ein Betrieb unter Auflage eines Hygienekonzeptes möglich war.  

  • So konnten Fitnessstudios ohne Einschränkungen betrieben werden, obwohl gerade sportliche Aktivitäten in geschlossenen Räumen hoch problematisch zu betrachten sind. 
  • Gleiches gilt für den Betrieb von kommerziellen Freizeitangeboten. Eine Auflage hier nur mit fachlich-pädagogischem Personal in den Normalbetrieb überzugehen gab es nicht. 
  • Kommerziellen Anbieter von touristischen (Jugend)Reisen ist es schon seit dem 08.06.2020 erlaubt, touristische Angebote auch für Minderjährige auch mit Übernachtung durchzuführen. Somit bestand für diese mindestens 14 Tage mehr Zeit, Angebote zu konzipieren und Vorbereitungen zu treffen. 

Der Landesbeirat für Jugendarbeit kritisiert diesen Umgang mit jungen Menschen, insbesondere da das für das Krisenmanagement zuständige Ministerium zugleich auch für die Belange junger Menschen zuständig sein sollte. Weiter kritisiert der Landesbeirat die Benachteiligung gemeinnütziger, durch ehrenamtliches Engagement getragener Träger gegenüber solchen mit kommerziellen Gewinninteressen. 

Hier besteht die begründete Befürchtung, dass durch die Benachteiligung der Jugendarbeit junge Menschen dauerhaft nicht mehr für diese Angebote der Freizeitgestaltung erreichbar sind und sie entweder kommerzielle Angebote nutzen oder unorganisierte und unpädagogisierte Formen der Zusammenkunft vorziehen. Dies kann zu kritischen Situationen im Jugendschutz, im Versammlungsrecht und auch bei der gesellschaftlichen Teilhabe und politischen Partizipation junger Menschen führen. 

Der politische Umgang mit engagierten Jugendleiter-innen, der in den Verordnungen der Landesregierung zum Ausdruck kommt, führt zu Resignation bei den Engagierten und schwächt nachhaltig die Engagementbereitschaft junger Menschen. Das Engagement im Jugendalter ist aber eine wichtige biographische Weichenstellung für ein späteres gesellschaftliches Engagement. Insgesamt sind durch die Corona-Pandemie deutliche Einbrüche im ehrenamtlichen Engagement zu befürchten. So war es in diesem Jahr bislang nur unzureichend möglich, neue Engagierte z.B. durch Juleica-Ausbildungen oder auch Übungsleiter-innen-Ausbildungen u.ä. zu qualifizieren. Dadurch werden kurz-, mittel- und langfristig Engagierte fehlen; bei etlichen Trägern fehlen dadurch dann Jugendleiter-innen und das Angebot kann in etlichen Gruppen ggf. nicht aufrechterhalten bleiben. 

Der Landesbeirat fordert das Sozialministerium auf: 

  • Den konstruktiven Dialog mit den Trägern der Jugendarbeit zu suchen und die Interessen junger Menschen in Zukunft stärker zu berücksichtigen.
  • Den Landesbeirat für Jugendarbeit in seiner Rolle als Beratungsgremium des Ministeriums zu nutzen und vorhandene Expertise in die Entscheidungen einzubeziehen.
  • Die Angebote der Jugendarbeit in der Verordnung des Landes nicht länger zu benachteiligen.
  • Gruppenstunden und offene Angebote der Jugendarbeit nicht in der Anzahl der Teilnehmenden zu begrenzen, sondern vielmehr auf individuelle Hygienekonzepte zu setzen und örtliche Rahmenbedingungen zu beachten.
  • Strukturen der Kinder- und Jugendarbeit so zu fördern, dass diese auch weiterhin ein sinnvolles Angebot für junge Menschen bieten können.

Mit Perspektive in die Zukunft und eine mögliche „zweite Welle“ im Herbst oder Winter fordert der Landesbeirat für Jugendarbeit vom Sozialministerium: 

  • Den Dialog über die zu ergreifenden Maßnahmen mit den Betroffenen zu suchen, also den Kindern und Jugendlichen und deren Interessenvertretungen, und dafür geeignete Formen zu wählen.
  • Mindestens den Landesbeirat für Jugendarbeit bei der Erstellung neuer Verordnungen oder der Veränderung bestehender anzuhören und die fachlichen Einschätzungen angemessen zu würdigen.
  • Vertrauen in das Verantwortungsbewusstsein junger Menschen und insbesondere ausgebildeter Jugendleiter-innen und Menschen mit vergleichbaren Qualifikationen der Verbände zu haben und dieses Engagement wertzuschätzen.