Herausforderungen für die Jugendarbeit und außerschulische Bildungsarbeit in Zusammenhang mit zunehmender (rechter) Gewalt und Hetze in der Gesellschaft

Aktuelle Situation

In der öffentlichen Wahrnehmung haben Gewalt und Hetze mit rechtspopulistischem oder gar rechtsextremem Hintergrund in den vergangenen Monaten zugenommen. Rechte Gewalt und rechte Hetze können dabei nicht nur auf Mitglieder von rechten Parteien oder anderen organisierten Strukturen in diesem Bereich reduziert werden.

Rechtes Gedankengut kommt immer weniger in festen Organisationen zum Ausdruck, sondern zeigt sich vermehrt in eher loseren Netzwerken und z.T. auch zeitlich begrenzteren Zusammenhängen, wie z.B. einzelnen Aktionen gegen Flüchtlinge. Hier ist laut aktuellen Zahlen zur Politisch Motivierten Kriminalität (PMK[1]) ein Anstieg konkreter Übergriffe gegen einzelne Bevölkerungsgruppen auszumachen. Insgesamt wurden im Phänomenbereich PMK-Rechts 1.786 Delikte registriert, 2014 waren es noch 1198. Mit einer Zunahme um fast 50 Prozent weist dieser Bereich auch prozentual den höchsten An-stieg aller Straftaten der PMK auf. Der Grund dafür liegt in der gestiegenen Zahl von Delikten in allen Bereichen der PMK-Rechts. Im Bereich der rechtsmotivierten Gewalt wurden 95 Delikte (2014: 54 Delikte) festgestellt[2].

Nach Zahlen der Arbeitsstelle Rechtsextremismus und Gewalt/Zentrum Demokratische Bildung  sind die Zahlen von Januar bis September 2016 im Vergleich zum Vorjahr noch einmal angestiegen. So wird von 730 rechtsmotivierten Gewalttaten gegenüber 622 in 2016 gesprochen und insbesondere auch ein starker Anstieg bei Straftaten gegen Amts- und Mandatsträger-innen ausgemacht.

Auch wenn nach einer Pressemeldung des Niedersächsischen Innenministeriums vom 26.05.2016 zum einen die Anzahl der Mitglieder rechtsextremer Parteien in Niedersachsen und zum anderen die Anzahl der Neonazis im Vergleich 2014 zu 2015 gesunken ist, so wird auch dort auf die neueren Entwicklungen im Rechtextremismus durch die Vernetzung im virtuellen Raum hingewiesen[3]. Rechtsextremistische Aktivitäten haben sich zu einem Großteil ins Internet und dort vor allem in die sozialen Netzwerke verlagert. Dabei werden andere Kommunikationskanäle als noch vor 1-2 Jahrzehnten genutzt, um Zugänge zu Jugendlichen und jungen Erwachsenen zu erschließen. 

Zu diesem Schluss kommt auch „Hass-im Netz[4], ein Angebot des Bereichs politischer Extremismus bei jugendschutz.net, welches von der Bundeszentrale für politische Bildung gefördert wird.

Staat, Gesellschaft und damit auch die Jugendarbeit stehen hier vor neuen Herausforderungen.

Herausforderungen und Möglichkeiten der Jugendarbeit in Niedersachsen

Eine große Herausforderung ist es, ein klares Bild der Straftäter-innen zu zeichnen, da die bisherigen Kategorien für Straftäter-innen nicht mehr zu passen scheinen und verschiedene Veränderungsprozesse auszumachen sind. Neben einem niedrigschwelligeren Zugang und weniger festen und organisierten Strukturen und Gruppen gibt es auch eine zunehmende Vermischung von Themen und Gruppen der extremen Rechten und Rechtspopulist-inn-en. Durch regelmäßige lokale Angebote  ist eine zivilgesellschaftliche Reaktion schwierig. Bleiben Straftaten oder auch die Verschiebung von Grenzen jedoch ungeahndet, gibt es Nachahmer-innen und es verschieben sich die Orientierungspunkte bis zur Gefahr der Normalisierung. Diese Menschen nehmen eine ausbleibende, klare und konsequente Gegenwehr dann oft als „Unterstützung” wahr.

Die Frage, warum Jugendliche und junge Erwachsene rechtsextremes Gedankengut annehmen, ist nicht eindeutig zu beantworten, sondern es ist eher ein Zusammenwirken verschiedener Faktoren auszumachen. In der Sozialisation entwickeln junge Menschen ihre Werte und Normen, Einstellungen und Verhaltensweisen. Das gilt auch für die „politische Sozialisation”. Dabei spielt der soziale und ökonomische Status der Familie bzw. des jungen Menschen eine große Rolle. Aber auch das Umfeld, in dem sich der junge Mensch bewegt, ist richtungsweisend für die soziale Anerkennung des Individuums, die Reflexion und ggf. Korrektur nicht richtiger Vorstellungen, z.B. über anderen Kulturen. Auch sind bei einigen Jugendlichen in der praktischen Arbeit in diesem Feld fehlende soziale Kompetenzen auszumachen. Gerade hier kann die Jugendarbeit ansetzen. Durch die etablierten Strukturen der Jugendarbeit und Peer-to-Peer-Ansätze kann ein Klima für einen vertrauensvollen Austausch, in dem junge Menschen ernst genommen werden, sowie zur Steigerung sozialer Kompetenzen, geschaffen werden. Wobei extremistisches Gedankengut bzw. Haltungen nicht unwidersprochen stehen bleiben dürfen. Neben der Richtigstellung und Diskussion über „Faktenwissen”, geht es vor allem auch um gelebte Demokratie mit gewaltfreien Konfliktlösungsansansätzen und Arbeit an den eigene Werten bzw. der eigenen Haltung.

In Bezug auf rechtsextreme Erscheinungsformen im Netz muss eine stärkere Sensibilisierung erfolgen. Neben offensichtlich rechtsextremen Inhalten beinhalten insbesondere auch rechtsextreme Fake-News im Internet besondere Herausforderungen. Vermischungen von Nachrichten aus seriösen Quellen und Nachrichtenseiten aus dem rechtsextremen Umfeld mit bewussten Falschmeldungen und Unwahrheiten werden eingesetzt, um die Inhalte glaubwürdiger erscheinen  zu lassen, kurze Teaser in den sozialen Medien regen zum Weiterlesen auf den Seiten aus dem rechtsextremen Umfeld an. So generieren Seiten wie „Deutschland DECKT AUF” über 100.000 Likes bei Facebook[5]. Auch über Kommentarfunktionen können weitergehende Inhalte transportiert und Gegenreden ausgeblendet werden, so dass eine Art Unterstützung menschenfeindlicher Äußerungen empfunden werden kann. Oft ist es nicht einfach, diese Seiten und Meldungen dem Rechtsextremismus zuzuordnen, so dass hier gerade für junge Menschen Unterstützungsangebote wichtig sind.

Qualifizierungen und ausreichende (Personal-)Ressourcen sind jedoch weitere Herausforderungen in Zeiten zunehmender Anforderungen an hauptamtliche Strukturen der Jugendarbeit.

Die aktuelle Shell-Studie kommt zu dem Schluss, dass die Akzeptanz der Zuwanderung nach Deutschland gegenüber den vorangegangenen Studien vor allem im Westen steigt. 2015 sprachen sich nur noch 37% der Jugendlichen für eine Verringerung der Zuwanderung aus, gegenüber 58% im Jahr 2006 und 48% im Jahr 2002[6].

Um diesen Trend erfolgreich zu unterstützen und gegen eine steigende Anzahl von Gewalttaten und Hetze mit rechtsextremen Hintergrund zu arbeiten, ist zum einen präventiv eine gute politische Bildungsarbeit notwenig, zum anderen eine Unterstützung für einen Ausstieg aus dieser Gedanken-, Haltungs- oder sogar Gewaltspirale.

Scheinbar sind jedoch in vielen Bereichen die Grundlagen für politische Bildung verloren gegangen, die für das Verständnis politischer Prozesse und für ein entsprechendes Engagement wichtig wären. So sind z.B. für Jugendverbände und Jugendpflegen zusätzliche Aufgaben hinzugekommen und die Ausgaben für die Arbeit z.T. gestiegen, die Fördermittel wurden jedoch meist nicht erhöht. An Hochschulen wurde beispielsweise der Bereich politische Bildung in den Studiengängen der sozialen Arbeit umbenannt bzw. abgebaut: Auch hier können Handlungsempfehlungen formuliert werden.

Handlungsempfehlungen

Wichtig ist, in diesem Feld keine einseitige und kurzfristige Strategie zu fahren.

Auf der einen Seite steht die Praxisorientierung und Unterstützung der Personen vor Ort. Oft fehlt dort eine kontinuierliche Begleitung z.B. der Jugendpflegen und es sind große Unterschiede innerhalb Niedersachsens zu beobachten. Es erscheint sinnvoll, noch einmal zu beleuchten, welche Strukturen auch aus unterschiedlichen Förderprogrammen und Projekten aktuell in Niedersachsen vorhanden sind und welche Strukturen wieder neu aufgebaut werden müssen, um alle Jugendlichen in der Stadt und in den ländlichen Gebieten zu erreichen. Dabei muss es auch um die kontinuierliche personelle Ausstattung gehen sowie um Möglichkeiten für Jugendliche, sich in ihrer gesamten Biografie zu engagieren. Für den Komplex der antirassistischen Jugendarbeit sollte nicht nur eine anlassbezogene Projektförderung stattfinden, sondern eine kontinuierliche Förderung in den bestehenden Strukturen der Jugendarbeit für mehr Konstanz geschaffen werden sowie eine Vernetzung bisheriger und zukünftiger Projekte, Institutionen und weiterer Akteur-inn-e-n untereinander. Auch müssen positive Bezüge und eigene Werte der Jugendarbeit stärker in den Vordergrund gerückt werden.

Ein wesentlicher Grund für den hohen Zulauf bei rechtspopulistischen Parteien und Wählerbündnissen ist das mangelnde Vertrauen in Politiker-innen. Insbesondere bei jungen Menschen muss ein solches Vertrauen aufgebaut und erhalten werden. Dafür ist es wichtig, dass die Politik die Interessen und Wünsche junger Menschen aufgreift, sich mit Jugendlichen auseinandersetzt und ihr Handeln – ggf. auch eine Ablehnung von Forderungen junger Menschen – verständlich begründet. Nur durch Transparenz kann Vertrauen in politisches Handeln geschaffen werden.

Es braucht auch weiterhin verstärkt regelmäßige Begegnungen „auf Augenhöhe” zwischen Politiker-inne-n und jungen Menschen und es bedarf jugendgerechter Methoden und zeitnaher Rückmeldungen seitens der Politik auf Forderungen von jungen Menschen. Grundlage dafür sind eine ernsthafte und konstante Beteiligungskultur sowie passende, anlassbezogene Beteiligungsformen, insbesondere auch auf der kommunalen Ebene. Dadurch kann erreicht werden, dass sich Jugendliche und junge Erwachsene dauerhaft politisch interessieren, sich informieren und an Entscheidungen partizipieren können.

Als weitere Empfehlungen werden folgende Punkte formuliert

•    langfristig arbeitende Arbeitsgruppen und Themen für eine demokratische Entwicklung, am besten von Jugendlichen initiiert, anstelle z.B. einzelner, von Lehrkräften vorgegebener Projekttage an Schulen

•    die Unterstützung von Peer-Ansätzen, wie sie in der Jugendarbeit seit Jahrzehnten erfolgreich praktiziert werden. Hier ist jedoch ebenfalls für eine ausreichende Qualifizierung und Begleitung Sorge zu tragen.

•    medienpädagogische Ansätze zum Umgang mit rechtsextremen Inhalten sowie sogenannten „Fake-News” im Internet fördern

•    geschützte Räume für inhaltliche Diskussionen zur Verfügung haben

•    individuell an einer Werteorientierung arbeiten und klären, wofür die Gruppe, die Institution oder die Person steht und was das dann auch ausschließt

•    ein stabiles Unterstützungssystem für Multiplikator-inn-en, Eltern, Angehörige etc. vorhalten

•    Betroffene sind zu schützen, zu beraten und darüber hinaus ihre Position als Gegenpol einzubringen.

Für eine wirksame, entwicklungsorientierte Prävention empfiehlt es sich, bereits bei Kindern im Grundschulalter anzusetzen und Risikofaktoren für die Entwicklung einer rechtsextremen Haltung mit einem damit verbundenen möglichen späteren Einstieg in die rechte Szene zu minimieren, um so die Wahrscheinlichkeit zukünftiger Kriminalität und Radikalisierung zu reduzieren. Dabei müssen jungen Menschen demokratische Werte vermittelt werden und sie müssen in ihrer Urteilsfähigkeit gestärkt werden. Sollte ein Einstieg nicht verhindert werden können, so müssen Ausstiegsprogramme zur Verfügung stehen und bekannt gemacht werden.


[1]          Als PMK-Rechts werden Straftaten zugeordnet, wenn in Würdigung der Umstände der Tat und/oder der Einstellung des Täters Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass sie nach verständiger Betrachtung (z.B. nach Art der Themenfelder) einer „rechten” Orientierung zuzurechnen sind, ohne dass die Tat bereits die Außerkraftsetzung oder Abschaffung eines Elementes der freiheitlich demokratischen Grundordnung (Extremismus) zum Ziel haben muss. Insbesondere sind Taten dazuzurechnen, wenn Bezüge zu völkischem Nationalismus, Rassismus, Sozialdarwinismus oder Nationalsozialismus ganz oder teilweise ursächlich für die Tatbegehung waren. Diese politisch motivierten Straftaten sind als rechtsextremistisch zu qualifizieren (Quelle: http://www.mi.niedersachsen.de)

[2]          PI des MI, http://www.mi.niedersachsen.de/aktuelles/presse_informationen/mehr-politisch-motivierte-straftaten-vergangenes-jahr-auch-in-niedersachsen-143835.html

[3]          http://www.mi.niedersachsen.de/aktuelles/presse_informationen/bericht-des-niedersaechsischen-verfassungsschutzes-fuer-das-jahr-2015-144039.html, [Stand: 17.01.2017]

[4]          http://www.hass-im-netz.info/fileadmin/hass_im_netz/documents/bericht2014.pdf. „hass-im-netz.info” ist ein Angebot des Bereichs politischer Extremismus bei jugendschutz.net und wird von der Bundeszentrale für politische Bildung gefördert.

[5]          http://www.hass-im-netz.info/themen/detail/?tx_ttnews%5Btt_news%5D=946&cHash=8741a49aef5388e4533f469cf51d3918

[6]          vgl. Deutsche Shell Holding GmbH 2015