Positionspapier zur gleichberechtigten Teilhabe für junge Geflüchtete an den Angeboten der Jugendarbeit ermöglichen

Jugendarbeit muss und kann einen wesentlichen Beitrag zur gleichberechtigten und gelingenden Teilhabe junger Geflüchteter leisten. Neben der schulischen bzw. beruflichen Ausbildung benötigen alle junge Menschen eine soziale und individuelle Perspektive – der Jugendhilfe in ihrer Gesamtheit und der Jugendarbeit im Besonderen kommt hier die Aufgabe zu, ein gelingendes Aufwachsen bzw. Hineinwachsen in unsere Gesellschaft sowie die Entfaltung einer eigenen Persönlichkeit (§1 SGB VIII) partizipativ zu unterstützen.

Dabei sind die Erfahrungen von positiven Teilhabemöglichkeiten und Selbstwirksamkeit sowie die große Chance der Partizipation an gesellschaftlichen und politischen Prozessen von besonderer Bedeutung. Gerade hier kommt der Jugendarbeit eine besondere Rolle zu, denn sie bietet die Möglichkeit, dass sich Freundschaften von jungen Geflüchtete und jungene Menschen, die bereits länger in Deutschland leben oder hier geboren worden sind, entwickeln, dass sich ihr Leben neu strukturieren lässt und dass gemeinsam ein positives Heimatgefühl geschaffen werden kann. Diese Faktoren tragen dazu bei, dass junge Geflüchtete sich schnell an die neue Lebenssituation gewöhnen, die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen kennenlernen, sich selber in ihrer neuen Heimat einbringen können und die Spielregeln respektieren. Jugendarbeit ist ein wichtiger Treffpunkt für junge Menschen, bietet niedrigschwellige Kontaktmöglichkeiten und lebt zugleich die demokratischen Werte.

Die Jugendarbeit in Niedersachsen hat seit vielen Jahrzehnten Erfahrungen in der Arbeit mit jungen Menschen mit Migrationsgeschichte und mit jungen Geflüchteten – neu ist jedoch die hohe Anzahl der gleichzeitig zu integrierenden jungen Menschen, die komplexe politische und kulturelle Situation in den Herkunftsländern und die Vielzahl der Herkunftsländer. Auf diese Herausforderungen muss mit neuen Konzepten reagiert werden, die den bisherigen Erfahrungen Rechnung tragen.

Im Nachfolgenden positioniert sich der Landesbeirat speziell zu vier Punkte, die aus seiner Sicht  für die Jugendarbeit in Niedersachsen besondere Berücksichtigung finden müssen.

Zugänge zu Angeboten und nachhaltige Netzwerkstrukturen schaffen

Für junge Geflüchtete, die mit ihren Familien in einer Unterkunft für Asylbewerber-innen leben, ist Begegnung zu Gleichaltrigen, die schon länger in Deutschland wohnen bzw. hier geboren worden sind, keine Selbstverständlichkeit – insbesondere solange sie keine Schule besuchen. Ihnen fehlt i.d.R. auch die Informationen über Angebote in der Jugendarbeit, an denen sie teilnehmen können. Bei den jungen Menschen in den Unterkünften gibt es i.d.R. keine biographischen Schnittstellen und Kenntnisse über die Strukturen und Möglichkeiten der Jugendhilfe in Deutschland. Wichtig ist es, dass allen jungen Geflüchteten Zugangsmöglichkeiten zu den Angeboten der Jugendarbeit gegeben werden – unabhängig davon, ob sie in Gemeinschaftsunterkünften, Einrichtungen der Jugendhilfe (insb. UMAs) oder in Wohnungen leben. Dieses kann direkt durch Angebote der Jugendarbeit in den Einrichtungen erfolgen oder durch entsprechende Informationen über diese Angebote.

Hierfür ist es notwendig, dass vorhandene Netzwerke der Jugendarbeit nachhaltig gestärkt werden: Nur im Zusammenspiel der verschiedenen Träger kann und wird es gelingen, junge Geflüchtete an den Angeboten der Jugendarbeit teilhaben zu lassen und die ehren- und hauptamtlichen Mitarbeitenden der Träger bei dieser Aufgabe zu unterstützen. Wichtig für diese Netzwerkstruktur ist, dass alle Akteure der Jugendarbeit, die Angebote nach §11 Abs. 3 SGB VIII anbieten, und Akteure der Flüchtlingshilfe mit einbezogen sind. Dabei ist darauf zu achten, dass auch die landesweiten Strukturen genutzt und einbezogen werden. Die nachhaltigen kommunalen Netzwerke bieten die Möglichkeit einheitlicher Steuerungs- und Koordinierungsstrukturen und können die notwendige Klarheit der Zuständigkeiten schaffen. Die Jugendhilfeplanung muss auf die veränderte Situation schnell reagieren und auch die Planungen für den Bereich der Jugendarbeit auf Grundlage der neuen Bedarfe und unter Beteiligung der freien Träger fortschreiben.

Sowohl die öffentlichen als auch die freien Träger der Jugendarbeit müssen in die Lage versetzt werden, diese zusätzlichen Aufgaben wahrnehmen zu können, ohne dass es zu Einschnitten in anderen Bereichen der Jugendarbeit oder der Jugendhilfe kommt. In vielen anderen Bereichen der Jugendhilfe und der Sozialarbeit wurde in den vergangenen Monaten dem neuen Bedarf mit zusätzlichen Ressourcen Rechnung getragen – dies muss auch für die Jugendarbeit gelten.

Anforderungen an die außerschulischen Bildungs- und Beteiligungsangebote

Neben niedrigschwelligen Angeboten wie Fußballspielen oder Basteln, die vor allem in den Unterkünften direkt angeboten werden und die geflüchteten Kinder und Jugendliche zumindest für einen kurzen Augenblick ihren Alltag vergessen lassen und ihnen gestatten, altersgerecht Kind oder Jugendlicher sein zu dürfen, braucht es auch anspruchsvolle Angebote, bei denen die jungen Menschen Verantwortung übernehmen, mitbestimmen und an den Angeboten teilhaben. Wichtig ist hierbei, dass sich die Ehrenamtlichen und Hauptamtlichen (in der Jugendarbeit) hier ihrer Ressource bewusst sind. Erfahrungen zeigen hier, dass die niedrigschwelligen Angebote nicht viel Geld kosten und ohne viel Aufwand angeboten werden können. Bei anderen Aktivitäten, wie z.B. Ferienfreizeiten oder Wochenendfahrten und Seminaren, bedarf es hier neben der genauen Kenntnis über die Möglichkeiten bei einer Teilnahme von jungen Geflüchteten vor allem auch zusätzliche Mittel, um jungen Geflüchteten die Möglichkeit zu geben, an diesen Angeboten teilzunehmen. Die bestehenden Fördermöglichkeiten reichen dafür i.d.R. nicht aus.

Bei den klassischen Angeboten der Jugendarbeit ist durch die anbietenden Träger der Jugendarbeit zu berücksichtigen, dass die jungen geflüchteten Menschen aus anderen Kulturen kommen und ihnen deutsche Selbstverständlichkeiten z.B. im Umgang der Geschlechter untereinander teilweise nicht bekannt sind oder ihr Rollenverständnis kulturellbedingt anders geprägt sein kann. Hier gilt es, durch die Angebote einen Raum zu bieten, in dem dieses für jungen Menschen erfahrbar gemacht wird, z.B. durch Angebote wie „Wie flirte ich in Deutschland” oder speziell gender- und geschlechtsspezifische Angebote, um z.B. jungen Frauen und Mädchen einen Schutzraum zu bieten.

Eine Herausforderung bei den Angeboten für junge Geflüchtete ist, dass die Angebote und Veranstaltungen mit Geflüchteten auf jeden Fall gut vorbereitet und geplant werden und nach Möglichkeit in geschlechterparitätisch besetzten Teams durchgeführt werden. Junge Geflüchtete sind zwar eine besondere Zielgruppe, allerdings gelten gleiche Herausforderungen wie bei anderen Zielgruppen auch. Zu den Herausforderungen in der Planung gehört es, dass auf sprachliche Fähigkeiten und kulturelle Unterschiede Rücksicht genommen wird und diese Unterschiede möglichst positiv genutzt werden. Die erweiterte Vielfalt in den Angeboten der Jugendarbeit ist eine Lernchance für alle Teilnehmenden und Teamenden.

Die außerschulischen Bildungs- und Beteiligungsangebote der Jugendarbeit bieten eine gute Brücke, um jungen Geflüchteten auf niedrigschwellige Art und Weise Alltagskomptenzen zu vermitteln und um ihnen die Gelegenheit zu gebenden, die deutschen Sprache zu erwerben.

Erfahrungen bei Angeboten mit jungen Geflüchteten haben gezeigt, dass es gerade in dieser Zielgruppe wichtig ist, dass Angebote vorgehalten werden, die neben einem Begegnungs- und Integrationscharakter vor allem die Möglichkeit der Mitbestimmung am Programm bieten und vor allem, dass die Bezugspersonen, sei es ein ehren- oder hauptamtliches Team, in dem, was sie macht, transparent sind.

Der Landesbeirat bestärkt an dieser Stelle den entsprechenden Punkt aus der im Januar 2016 erschienene Stellungnahme des Bundesjugendkuratoriums, dass die Akteuere der Kinder- und Jugendarbeit gefordert sind, Begegnungsangebote und Integrationsmöglichkeiten vorzuhalten und zu entwickeln und dass es dazu einer Stärkung und Ausbau der bestehenden Angebote nach §11 SGB VIII bedarf.[1] Die Konzepte der Jugendarbeit, insbesondere die der offene Jugendarbeit, bieten eine schnelle Möglichkeit, sich der neue Zielgruppe zu öffnen. Hierbei dürfen die räumlichen und finanziellen Rahmenbedingungen und die personelle Ausstattung nicht aus den Augen gelassen werden, damit die ursprüngliche Zielgruppe nicht benachteiligt wird.

Qualifizierung für Ehrenamtliche und Hauptberufliche in der Jugendarbeit

Die letzten Wochen und Monate haben gezeigt, dass die Umsetzung der Verantwortung, die §1 SGB VIII mit sich bringt, alle Beteiligte aus der Jugendarbeit, egal ob ehrenamtlich oder hauptamtlich oder ob im Jugendverband oder im Jugendamt tätig, immer wieder vor Herausforderungen stellt. Gleichzeitig stellen wir in unser alltäglichen Arbeit fest, dass die Anzahl der Haupt- und Ehrenamtliche der Jugendarbeit, die sowohl Erfahrungen in der kultursensiblen Jugendarbeit als auch in der Arbeit mit jungen Geflüchteten haben, nicht ausreichend ist. Hier gilt es, neue Qualifizierungsangebote sowohl für die Ehrenamtlichen wie auch für die Hauptamtlichen zu entwickeln und vorzuhalten. Dabei sollte zwischen Fortbildungen für Fachkräfte mit und ohne Vorerfahrungen unterschieden und den unterschiedlichen Bedarfen von Ehren- und Hauptamtlichen Rechnung getragen werden.

Neben Bestandteilen der interkulturellen bzw. kultursensiblen Jugendarbeit müssen hierbei auch Aspekte der Sensibilität für Diversität, Lebenslagen junger Geflüchteter – rechtliche Situation ebenso wie Auseinandersetzungen mit den Fluchtursachen aus den Heimatländern, pädagogische Ansätze, Herausforderungen und Zugänge für eine Partizipation und Teilhabe von jungen Menschen und Umgang mit Fluchterfahrung und Traumata Berücksichtigung finden.

Gesamtverantwortung des Landes

Im Rahmen der Gesamtverantwortung für die Jugendarbeit in Niedersachsen ist es Aufgabe des Landes, dafür zu sorgen, dass auch für die Jugendarbeit mit jungen Geflüchteten landesweit vergleichbare Standards gelten.

Daher sollte ein Erfahrungsaustausch zwischen den verschiedenen kommunalen Akteuren ermöglicht und der Transfer von Beispielen guter Praxis in andere Kommunen erleichtert werden.

Rechtliche Unsicherheiten, die das Engagement der Träger der Jugendarbeit erschweren – wie z.B. die Frage nach Führungszeugnissen für ehrenamtlich in der Jugendarbeit engagierten jungen Geflüchteten – sollten durch entsprechende Empfehlungen bzw. Klarstellungen beseitigt werden.

Ferner muss das Land dafür sorgen, dass in Erstaufnahmeeinrichtungen und Gemeinschaftsunterkünften auch die UN-Kinderrechtskonvention beachtet wird, die für alle in Deutschland lebenden Kinder und Jugendliche gilt und damit auch für junge Geflüchtete. Dieses kann z.B. dadurch erfolgen, dass sich dafür eingesetzt wird, die Mindeststandards, die vom unabhängigen Beauftragten für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs des Bundes zum Schutz von Kindern vor sexueller Gewalt in Flüchtlingsunterkünften herausgegeben worden sind, umzusetzen. Ferner müssen junge Menschen in Flüchtlingsunterkünften Beteiligungsmöglichkeiten im Sinne z.B. einer Beteiligung an speziellen Angeboten für dort lebende Kinder und Jugendliche haben.

Migrant-inn-enjugendselbstorganisationen kommt bei der Integration junger Geflüchteter oftmals eine besondere Bedeutung zu. Diese müssen durch entsprechende Ressourcen auf allen Ebenen in die Lage versetzt werden, zur Teilhabe junger Geflüchteter beizutragen.


[1]           Bundesjugendkuratorium (2016): Kinder und Jugendliche auf der Flucht: Junge Menschen mit Ziel. Stellungnahme Januar 2016. Bezugnahme auf Seite 11, Abschnitt Politische Herausforderungen: Zuwanderung als nationale Aufgabe. http://www.bundesjugendkuratorium.de/assets/pdf/press/BJK_Stellungnahme_01_2016_KiJu_Flucht.pdf